Kollaboration und Organisation – Geheimnis eines Lebens ohne Führerschein

Frau mit Bambusfahrrad

Was glaubt ihr, ist die Zukunft der Mobilität? Oder besser: wie kann man Mobilität umweltfreundlicher machen? Ich plädiere dafür, als Übergangslösung, die Autos besser zu nutzen und mehr Fahrgemeinschaften zu bilden, mehr Sharing-Modelle. Öfter mal hinterfragen: muss ich jetzt allein mit dem Auto fahren oder gibt es eine andere, umweltfreundlichere Möglichkeit? Wie seht ihr das? Ich möchte euch dazu aus meinem Leben erzählen – einem Leben ohne Führerschein. 

Viele Leute machen immer große Augen, wenn ich sage: ich habe gar keinen Führerschein. Nie gemacht. Ich bin in meinem ganzen Leben noch nie hinter dem Steuer eines Autos gesessen. Ich kenne das Gefühl nicht, mit 200 und mehr über die Autobahn zu fliegen. (Nur als Beifahrerin) . Dafür kenne ich das komplette Bus- und Bahnsystem jeder deutschen Großstadt, Taxi Preise von Garmisch bis Goslar, ich kenne die Radwege, die Mitfahrzentralen und bin stolze Besitzerin einer BahnCard. Ich fliege, nutze Fähren und ich laufe eine Menge. Bis jetzt bin ich noch immer von A nach B gekommen. Es ist ja kein Leben ohne Auto, aber eben ohne eigenes. Wenn ich nachts aus dem Club komme (btw gekommen bin), hab ich mir öfters ein Taxi gegönnt – das war zum einen stressfreier zum Feiern! Und zum anderen ist ab und zu ein Taxi weitaus billiger als ein eigenes Auto Ich habe immer so zentral gewohnt, zuerst in Rosenheim, dann in München, dass mir der Besitz eines Führerscheins und Autos sinnlos erschien. Zumal in Haidhausen, einem Stadtteil im Münchner Zentrum, wo ich 23 Jahre lang gelebt habe, viele Menschen viele Stunden zubringen, einen Parkplatz zu suchen. Das war in meiner Jugend schon schlimm, mittlerweile schier unmöglich. Außerdem war ich meiner Jugend radikaler im Umweltschutz als heutzutage. So ist das gekommen. Und irgendwann war es dann zu spät. Jetzt würde ich mich nicht mehr an ein Steuer wagen.

Wie sieht ein Leben ohne Führerschein im Alltag aus?

Aber es geht ja auch so (weitgehend) problemlos. Ich lebe in München, kann den Großteil meiner Erledigungen zu Fuß oder mit dem Fahrrad machen, ansonsten gibt es ein relativ gutes MVV-Netz. Wichtig ist zu wissen: ich lebe in einer Stadt, WEIL ich kein Auto habe. Auf das Land ziehen käme für mich nicht in Frage. Das finde ich einerseits schade, auf der anderen Seite denke ich, mir würde ohne (Groß)Stadt bald etwas fehlen. Momentan ist klar: auf dem Land oder in einer Kleinstadt wird ein Auto gebraucht, zumindest zur Zeit. Ich fände einen flächendeckenden Ausbau des Nahverkehrs gut, realistisch ist er nicht. Landleute fahren einfach gerne Auto. Das gehört dort dazu.

Frau mit E-Bike auf einer Wiese
ich fahr so gerne Rad – beim Fahrradtest

Wenn ich mal weiter weg will, oder größere Einkäufe in zB einem Möbelhaus habe, muss ich das organisiert bekommen. Das ist jetzt der Punkt, der vielleicht einige nerven könnte – ich muss mir jemanden suchen, der die Strecke auch fährt. Ich frag also im Freundeskreis herum, ob wer mit mir zum See/zu Ikea/ etc möchte. Und dann schauen. Meist findet sich wer, manchmal auch nicht. Dann fahr ich halt mit der S-Bahn zum Starnberger See oder mit dem Rad nach Riem. Das geht auch. Ich bin sogar schon mal mit dem Bus zu Ikea, zurück hab ich dann wen am Eisstand gefunden, der mich mitgenommen hat in die Stadt. Ansonsten hätte ich eben den Ikea Fahrdienst angeheuert und wäre wieder mit dem Bus zurück. Ja, ich bin recht kommunikativ. 🙂 Aber der Autofahrer hat sich über meinen Beitrag zum Benzingeld gefreut. Also WinWin für alle Beteiligten und wieder ein Auto, das mit mehr als einer Person besetzt ist. Das wäre sowieso mein Gedanke: viel mehr Fahrgemeinschaften bilden, viel mehr zusammen erledigen. Das macht zum einen mehr Spaß, zum anderen hilft es der Umwelt. Ich plädiere für kreativere Lösungen als einfach Autos zu verbieten. Das wird nicht funktionieren. Aber die Menschen darüber nachdenken zu lassen, ob es nicht bessere Auslastungen gäbe – das wäre ein guter Weg. Die Vereinzelung unserer Gesellschaft ist für mich auch hier ein Problem, das viel zu wenig in das Thema Umweltschutz hineingedacht wird. Wir bräuchten wieder neue Äquivalente zur Großfamilie, dann könnten wir auch in der Großstadt wesentlich besser wirtschaften mit unseren Ressourcen. Gemeinsam einkaufen, zusammen kochen, gemeinsam Autos nutzen, im Freundeskreis Kleider tauschen, zu klein gewordene Kindersachen weitergeben – wir brauchen wieder mehr Clan hier in Deutschland 🙂

Corona ist ein Problem für Menschen ohne Auto

Die Pandemie hat mich allerdings für Riesenprobleme gestellt. Da war nichts mehr mit Fahrgemeinschaften, denn von einem Tag auf den nächsten war zu große Nähe auch zu Freunden erst mal eine potentielle Gefahr. Busse zu Zielen wie dem Ingolstadt Village wurden ausgesetzt. Insofern war ich schon von dieser Warte aus sehr isoliert und die Pandemie hat mich sehr eingeschränkt. Mittlerweile ist es besser, aber Mitfahrzentralen – die ich auch gerne genutzt habe – sind leider tot. Ich hoffe, das erholt sich wieder.

Frau mit Fahrrad
Mein Bianchi-Rad bringt mich überall hin

Nervt das Leben ohne Führerschein nicht manchmal?

Klar. Manchmal wünsche ich mir auch, einen Führerschein zu haben und spontan irgendwo hin zu brettern. Dieses Gefühl der Freiheit und Spontanität fehlt mir. Ich bin immer auf andere angewiesen. Klar kann das nerven und das tut es auch. Es gab Zeiten, da hätte ich mir sehr gewünscht, einen Führerschein zu besitzen und in einem Cabrio das Haar wehen zu lassen. Aber ich kann euch versichern: ich kann jetzt keinen Führerschein mehr machen, damit erweise ich der Sicherheit der Menschen einen Dienst. Ansonsten bin ich ein wenig stolz darauf, dass jetzt viele Jahre gut organisiert bekommen zu haben. Es ist vielleicht extrem – aber es ist als Diskussionsgrundlage gedacht. Wie können wir in Stadt und Land mobil bleiben, ohne Verzicht üben zu müssen – und trotzdem die Umwelt schonen? Für mich sind bessere Strukturen im Freundeskreis, mehr Kollaboration und gemeinsame Organisation eine der Möglichkeiten.