Tipps einer Einheimischen zum Oktoberfest

Der Artikel von mir ist ein Jahr alt, hat aber seine Gültigkeit nicht verloren – vor allem, wenn ich Pressemitteilungen bekomme, „Sie können heute zu uns kommen und sich ihren individuellen Blumenkranz von unserer Floristin zusammenstellen lassen“ – Oh bitte – diese Kränze gehören zu einem schwedischen Mittsommerfest oder zur Jungfernwiese auf dem Mittelaltermarkt – aber doch nicht ins Bierzelt. Vor allem, wenn das schon leicht angejahrte Damen tragen. Merke: wer eine Krone im Mund hat, sollte sich keine aufsetzen, schon gar keine aus Blumen. Tut euch einen Gefallen, macht es nicht.

Letztes Jahr war das Oktoberfest toll. Trotz Absperrung. Oder eher wegen der Absperrung. Endlich war die Wiesn nicht ganz so überlaufen, nicht ganz so besoffen, nicht ganz so hysterisch. Ich war total häufig draußen. Und zwar wirklich draußen – in den Biergärten der Wiesnzelte. Kann ich nur jedem empfehlen, ich hoffe, das Wetter spielt mit.Und hier noch ein paar Tipps, wie echte Münchner auf das Oktoberfest gehen. Also für Leute über 25. Die Tipps sind Vorschläge – selbstverständlich steht es jedem frei, sich mit der Tracht des Grauens zum Trottel zu machen, wie er oder sie will. Es gibt eine wunderbaren Tumblr-Blog, der die schlimmsten Sünden sammelt…wie etwa das Pfingstochsenoutfit von Claudia Effenberg…

  1. Ein Dirndl kauft man nicht im Faschingsbedarf. NEIN! Wirklich nicht.  In Köln oder Düsseldorf ist ein Dirndl oft ein Karnevalskostüm und sieht auch so aus. Kommt bitte nicht auf die Idee, das auf das Oktoberfest zu tragen. Ich weiß, diese Warnung wird ungehört verhallen. Was in den Bierzelten so rumläuft: zu kurz, zu eng, zu viel Spitze, Strass, Neonfarben, Federn, Tüll, Blümchen und eben diese unsäglichen Kränze im Haar – das sieht mehr nach Kühen im Almabtrieb aus. Oder nach der Hauptdarstellerin in „unter dem Dirndl wird gejodelt“ – das mag ja auch die Intention des Ganzen sein, mit Reissverschluß und Minirock am Dirndl findet auch der betrunkenste Mann noch einen Weg, das Ding auf der Piesel-und Kotzwiese hinter den Bierzelten  runterzufummeln. Mein Tipp ist ein schlichtes, aber gut sitzendes Waschdirndl (mit Knöpfen), das muss nicht teuer sein und sieht gut und angezogen aus. Oder bei Alexas Second Hand ein Vintage-Dirndl kaufen. Übrigens – es ist noch gar nicht so lange her, da war das Dirndl auf der Wiesn noch keine Pflicht.
  2. Hohe Schuhe (gerade Stilettos) sind was für sehr wagemutige Frauen, die es schaffen, auf den Dingern auf rutschigen Bierbänken zu balancieren oder beim Heimweg einen souveränen Parcours zwischen Pfützen von Erbrochenem, Pferdeäpfeln und Betrunkenen hinzulegen, ohne sich hinzulegen.
  3. ec389dd1df13cc891d229d1efbac4ef99d6575ad0f8cfba5bfb97974ef3c9e1282e806fadaec78bd6fa813f8de3bed9abf4833f18b3dc84025b7d363e46f32ab
  4. Männer tragen übrigens kein Dirndl (DOCH; alles schon gesehen). Genauso dämlich: überdimensionale Seppelhüte. Filzfässer oder Löwen auf dem Kopf oder T-Shirts mit aufgedruckten Lederhosenträgern. Ist und bleibt daneben. Lederhose oder gar keine Tracht ist für Männer das Gebot. Samtwesten finde ich schön. Puristen nicht.
  5. Als Frau trägt man im Gegenzug keine Lederhose. Schon gar nicht Hotpantslänge in Pink oder Hellblau. Was soll das denn? Wird von jedem Bayern als albern empfunden. Noch schlimmer ist eigentlich nur noch Micaela Schäfers aufgemalte Lederhose oder ihr blau-weißer Borat-Badeanzug zur Aufblasweißwurst. PS: So bitte auch nicht kommen.
  6. Vorglühen ist was für Teenager. Jeden Samstag morgen stehen sie da. Schwankend und besoffen: Teens und Twens um 9 Uhr morgens, bevor die Wiesnzelte aufmachen. Mit einer Flasche Wodka Tschernobyl vom Aldi und 18 Red Bull betankt warten sie auf die Zeltöffnung, um sich dann mit der ersten Mass völlig abzuschiessen. Warum? Das ist so unbekannt wie das Laichverhalten der Aale. Offenbar geht Oktoberfest nur völlig betrunken. Um dann spätestens um 11 Uhr morgens bepieselt, mit Erbrochenem im Mundwinkel und im Koma auf der Wiese hinter der Bavaria zu liegen. Wo da der Spaß sein soll – ich weiß es nicht. Mein Tipp: Lassen. Wenn man (Ausnahme Samstag) manierlich und nüchtern zu einem Zelt kommt, findet man mit Sicherheit noch irgendwo Plätze.
  7. Wer echte Wiesn erleben will, der geht unter der Woche nachmittags ins Zelt oder in den Biergarten davor, trinkt eine Mass und isst eine Ochsensemmel oder ein halbes Hendl. Danach für einen Nachtisch zu Käfer. (Unvergleichlich gute Mehlspeisen)  Danach noch eine Runde drehen auf der Fahrgeschäftsseite (Mittwoch ist verbilligter Kindertag) und historische Fahrgeschäfte wie das Kettenkarussel nutzen.  Perfekter Wiesnbesuch. historische Tracht
  8. Flirten auf der Wiesn: Geht überall. Immer. Ideal ist der Garten vom Käferzelt. Oder, wenn man es internationaler will, die Stehtische im Hofbräuzelt. Betrunkene Australier. Strippende Australierinnen. Aber lustig. Schneller kommt man sich nicht näher. Und kommt schnell weg, wenn einen der Typ (oder die Dame) nervt. Im Weinzelt ab 23 Uhr muss man schon Quasimodo sein, um allein heim zu gehen. Oder ein Dirndl vom Faschingsbedarf tragen. (siehe oben)
  9. Der Flohzirkus. Muss man mal gesehen haben. Die Besitzer machen das als Hobby – diese Attraktion aus vergangenen Tagen bekommt man also nur auf der Wiesn zu sehen. (Gerade erfahren: auf der Auer Dult ist der Stand auch) So wie das kleine Panoptikum vom Schichtl. Wiesn wie vor 100 Jahren. Extrem charmant. Und im angehängten Gastrobereich gibt es Gutes vom Biobauern Gut Herrmansdorf. Besser wird es nicht.
    By Usien (Own work) [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) or CC BY-SA 3.0
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  10. Urig, zünftig, deftig – diese Worte hat kein Bayer je verwendet. Maximal die Vertriebsassistentin einer niederbayrischen Brauerei, die eigentlich aus Mecklenburg-Vorpommern stammt, schreibt sowas in die Pressemitteilung.
  11. Meiden: das neue Marstallzelt. Warum? Weil der Wirt wirklich unverschämte Preise für seine Menüs aufruft, die man ihm abnehmen muss, wenn man eine Tisch will. Wenn jemand jetzt sagt, es muss ja niemand dort kaufen, hat er recht.
  12. Die kleinen Wiesnzelte sind toll. Und unterschätzt. Auch dort läßt sich prima feiern. Es muss nicht immer der Schottenhamel sein. Wer nicht nur Halligalli mit unter 25jährigen will, der ist auch in den kleineren Wiesnzelten richtig. Das Essen ist dort exzellent (das rösche Bio-Hendl vom Ammer ist das Beste auf der gesamten Wiesn, das Bratwurstglöckl sehr familiär, die Knödelei ist auch einen Besuch wert), die Stimmung gut, aber die Atmosphäre ist gehobener und intimer. Man lernt leichter Leute kennen, mit denen man auch nüchtern noch zu tun habe möchte.
  13. Die „oide Wiesn“  – Wer gar keinen Bock auf DJ Ötzi hat, der ist auf der Oiden Wiesn richtig. Dieser abgetrennte Teil des Oktoberfests existiert seit ein paar Jahren. Historische Zelte, historische Bierkrüge, historische Musik und historische Fahrgeschäfte. Hier gehen die intellektuellen Münchner hin, weil hier Kabarettisten und Literaten auftreten. Vor allem in der Schönheitskönigin. Wem dieser Name komisch vorkommt: es gibt ein uraltes Lied der Volkssängerin Bally Prell „Schönheitskönigin von Schneizlreuth“ – Mein Papa hat mich mit sowas bekannt gemacht. Mich freut, dass die alten Perlen nicht in Vergessenheit geraten. Deswegen liebe ich Bayern so sehr. Und die Oide Wiesn.

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