Leitkultur: Was ist wirklich deutsch?

Innenminister DeMaziere hat gerade 10 Punkte rausgehauen, was alles deutsche Leitkultur ist. Eine unglückliche, aber interessante Debatte. Die Linken schrien gleich Zeter und Mordio „Keine Leitkultur“, die Rechten auch „Viel zu wenig abgrenzend“. Ich fand seine Punkte albern (Händeschüttlen, Gesicht zeigen, Leistung) und hab darüber nachgedacht, was deutsch im positiven Sinn ist. Was Dinge sind, die andere Leute gern von uns übernehmen können. Und was eine gewisse Allgemeingültigkeit besitzt. Das ist mir sehr schwer gefallen. Denn durch mein Leben in anderen deutschen Städten ist mir sehr deutlich geworden, dass wir Bayern mit den Österreichen mehr gemeinsam haben als zu Beispiel mit dem Rheinland. So lieb ich die Leute im Rheinland habe, Humor, Kultur sind doch sehr anders – da reicht es nicht, ungefähr eine Sprache zu sprechen. Ich kann mir kaum einen Kölner vorstellen, der über Polt lacht und wir können wahnsinnig wenig mit einer Karnevalssitzung anfangen. Also da stößt die deutsche Leitkultur an Grenzen.  Denn ist Leitkultur der kleinste gemeinsame Nenner? Sicher nicht.

Ist Leitkultur das, was für uns typisch ist? Eine gewisse Ernsthaftigkeit, eine gewisse Unflexibilität? Dass wir pünktlich sind und viele von uns begabte Ingenieure und Erfinder? Ist es, dass wir Schnitzel und Gegrilltes gern essen? Fußball lieben? Dass bei uns auch Freude und Party irgendwie reglementiert sein muss, alles genehmigt werden muss? Dass deutsche Kultur schwer sein muss, voller Pathos und erhobenen Zeigefinger. Dass sogar eine Unterhaltungssendung wie der Tatort zu einer moralischen Anstalt mutiert.  Und dass wir immer neue bürokratische Monster schaffen? Das deutsche Steuersystem ist das komplizierteste der Welt – das, finde ich, ist typisch. Ich weiß nicht, ob ich will, dass diese Eigenschaften zur Leitkultur erhoben werden. Eine gewisse Leichtigkeit könnte unserem Volk nicht schaden.

Oder ist Leitkultur was Optisches? Sollen alle Ankömmlinge erstmal eine Funktionsjacke bekommen von Jack Wolfskin, damit sie problemlos ins Straßenbild passen? In Bayern ein Dirndl für Syrerinnen?

Was ich gut an Deutschland und den Deutschen allgemein finde, ist, dass sie mit einer unglaublichen Liebe an Dinge herangehen, sei es das Hobby oder der Beruf, dass wir Sachen immer besser machen wollen. Dass wir umständlich sind, aber zäh dranbleiben.  Dass die meisten Leute sehr freundlich sind, extrem hilfsbereit. Dass wir bereit sind, uns immer neu zu erfinden. Dass wir neugierig bleiben, schließlich sind wir Reiseweltmeister.  Aber ist das Leitkultur?

Also – Leitkultur ist wirklich etwas, was wir uns schenken können.

Aber was wichtig wäre, wäre Neuankömmlingen Werte zu vermitteln, wie sie das Grundgesetz bietet – und noch einige mehr. Dass jeder, der hier leben will, lernen soll, deutsch zu sprechen – das hilft allen und der Person, die es kann, am Allermeisten. Ich habe oft bei Ärzten und Ämtern Frauen erlebt, deren Männer für sie dolmetschen – ein Unding. Dass kein Kirchenrecht über dem irdischen Recht steht. Dass Religion überhaupt etwas ist, was man für sich macht und nicht nach Außen trägt. Ich würde mir mehr gegenseitigen Respekt wünschen. Es nervt, dass hier Frauen als Schlampen beschimpft werden, weil sei kein Kopftuch tragen und andersrum Frauen automatisch als rückständige Muttchen gesehen werden, weil sie eins tragen. Dass wir alle miteinander neugieriger werden sollten aufeinander. Das wäre wichtiger als jede Leitkultur.

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