Will ich ein perfektes Leben?

Es war letzte Woche beim perfekten Dinner, da sagte eine Kandidatin: „Mein Leben ist perfekt so, wie es ist, ich möchte nichts daran ändern“.  Das hat mich nicht mehr losgelassen. Denn wo hört oder liest man denn sowas noch? Ich will jetzt nicht bewerten, ob ich ihr diesen Satz abnehme oder ob die Frau mir sympathisch war (ich müsste beides verneinen) – aber darauf kommt es mir gar nicht an. Ich war ins Grübeln gekommen. Könnte ich den Satz sagen von mir? Und würde ich ihn überhaupt sagen wollen?

Für die Frau in der Sendung war ihr perfektes Leben ein Riesenhaus auf dem Land, mit riesiger Küche mit allem Schnickschnack vom Thermomix bis zum Sous Vide Ofen, ein Mann, der wohl gut zu verdienen scheint, Winzer in der Verwandtschaft, zwei niedliche Kinder und ihr Job als First Class Stewardess. Ja, zugegeben, das ist schon mal nicht schlecht. Für viele ist es es der Traum – offensichtlich war es ihrer und ich gönne es ihr von Herzen, dass sie ihn verwirklichen konnte.  Es ist ein klassischer Traum, ein realisierbarer Traum.

Ich habe überlegt, was denn ein perfektes Leben für mich bedeutet – denn diesen Traum vom Haus und der Familie und der Idylle hatte ich wohl auch manchmal, aber immer, wenn er sich zu materialisieren drohte, habe ich die Biege gemacht.  Zugunsten von mehr Aufregung, mehr Abenteuer, mehr Unwägbarkeit. In einem Disney-Film gibt es ein Lied, das ein bißchen sowas ist wie meine heimliche Hymne. Heimlich, weil es mir fast  peinlich ist, zuzugeben, dass meine Hymne von einer Disney-Prinzessin kommt. Das Lied heißt „Just around the riverbend“ – in dem gleichnamigen Film singt Pocahontas, dass sie immer weiter paddelt im Fluß des Lebens, weil sie immer wissen will, was hinter der nächsten Kurve kommt. Sich niederlassen, ein schönes Haus bauen? Nein, weil der Fluß des Lebens bestimmt noch viele spannende Erlebnisse bereithält. So lebe ich auch mein Leben – so gesehen, ist es im Unperfekten ziemlich perfekt. Denn Aufregungen und immer wieder Neues bietet es reichlich. Ich hab mich mit Mitte 40 nochmal aufgemacht in neue Städte, bin mutig umgezogen ohne Netz und doppelten Boden, hab mich neu erfunden, war sogar mal Bundestagskandidatin bei den Piraten, ich hab diesen Blog, ich wechsle gerade den Job – mit 50 – und denke immer noch, dass dieses Leben einem noch viel zu bieten hat. Spannend heißt übrigens nicht immer angenehm, das heißt manchmal, raus aus einer Komfortzone zu müssen.  Es heißt auch, dass Dinge schiefgehen können, dass man sich verzettelt, Energie in Dinge steckt, die es nicht wert sind.

Ruhe, die finde ich durchaus in mir. Das Gefühl, es nicht allen recht machen zu müssen und dass eben nicht alles perfekt sein muss, bringt eine gewisse Gelassenheit mit sich. Und Ruhe, die finde ich in meinem Freundeskreis, den ich beständig halte und sehr pflege. Und ich bin sehr dankbar, auch immer wieder neue, spannende Menschen kennenzulernen. Die sind häufig ein wenig extrem. Extremsportler, extrem erfolgreiche Leute, extrem exaltiert, ungewöhnliche Berufe, ungewöhnliche Hobbies. Irgendwie hab ich mich immer gewundert und gefreut, dass sich solche Menschen gerne mit mir abgeben, ich halte mich für ziemlich normal. (höre ich da wen lachen?)  Liebe? Die kommt mal, mal geht sie – das ist der einzige Punkt, bei dem ich gerne mehr Beständigkeit hätte. Aber das ist vermutlich nicht drin bei der Art, wie ich über das Leben denke.

Außerdem – ist denn Perfektion überhaupt erstrebenswert? In unserer Gesellschaft der ewigen Selbstoptimierung finde ich es ein Wahnsinnsziel, das ganze Leben perfekt zu machen. Denn das könnte sehr anstrengend werden. Das sieht man ja auf vielen Instagram Accounts. Wie viel Energie da investiert werden muss, damit alles perfekt ist.

Im berühmtesten deutschen Stück, dem Faust, wird der Pakt mit dem Teufel dann beendet, wenn Faust an einem Punkt seines Lebens sagt: „Verweile doch, du bist so schön“. Also dann, wenn er alles so perfekt findet, dass er nichts mehr ändern möchte. Wenn ein Stillstand eintritt, ein Ende der Suche, dann ist es vorbei. Den Faust würde mit Haus auf dem Land mit den Winzerverwandten und den Kindern und dem Sous Vide Herd der Teufel holen.

Was versteht ihr unter einem perfekten Leben? Findet ihr euer Leben perfekt? Ich bin gespannt…

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